Test: Rage

Rage war seit der ersten Ankündigung vor allem ein grafisches Versprechen. Doch auch spielerisch sprach man, sehr untypisch für id Software, vollmundig von einer offenen Welt, Autorennen und Nebenmissionen, so dass die Erwartungen naturgemäß nach oben schnellten. Nun ist das Spiel endlich da und es scheint, als hätten die Produzenten an irgendeinem Punkt in der Entwicklung Besuch von einem Schuster bekommen. „Wisst ihr“, schien er zu sagen, „ich bleibe ja grundsätzlich bei meinen Leisten.“ Er fand Gehör! Doch ist das finale und „konservative“ Rage alles andere als eine Enttäuschung. Zeit also den Blickwinkel und die Erwartungen zurechtzurücken.
Ohne Gesicht
Die Geschichte von Rage ist dünn. Richtig dünn. Im Grunde wissen wir nichts über unseren Helden (nicht mal seinen Namen) und das bleibt auch weitgehend so. Hundert Jahre tiefgefroren, erwachen wir zu Beginn in einer postapokalyptischen Endzeitwüste, nachdem ein gewaltiger Asteroid die Erde küsste. Sekunden später befinden wir uns bereits im Krieg zwischen einigen wenigen Überlebenden, skrupellosen Banden und hässlichen Mutanten. Tiefgang? Fehlanzeige! Zwielichtige Figuren? Nö! Hintergründe und Motive bleiben aufgrund gesichtsloser Charaktere verborgen und sind einem auch völlig egal. Freund ist, wer eine Liste mit Aufträgen bereithält. Feind ist, dessen Name auf der Liste steht. Es wird nicht hinterfragt, es wird sofort geschossen. Die Regierung sei böse, heißt es. Einen echten Gegenspieler suchen wir aber vergebens. Bis zum abrupten und völlig enttäuschenden Ende sind Höhepunkte rar gesät.



So enttäuschend der Erzählstrang auch ist, so spannend sind die Kämpfe. Als Wegbereiter des Shooter-Genres weiß id Software eben wie es geht – und das auch heute noch. Dabei ist es beinahe überraschend wie viel Spaß aufkommt, denn das Design ist altmodisch wie eh und je. Die großen Außenareale dienen im Grunde nur der Verbindung einzelner, schlauchartiger Levels. „Offen“ heißt bei Rage „nicht linear“. Das heißt, wir wählen aus, welche Mission wir wann angehen möchten. Ist die Entscheidung gefallen, säubern wir wieder „nur“ einen Raum nach dem anderen von unzähligen Gegnern – ganz so wie man es auch von Doom oder Quake gewohnt ist. Macht das Spaß? Aber ja, und wie! Die KI ist hervorragend und die Widersacher daher sehr agil und fordernd. Fantastisch animiert klettern sie an Wänden entlang, weichen gekonnt unseren Schüssen aus und sind immer in Bewegung.

Konventionell sind auch die meisten unserer Schusswaffen, lassen sich aber aufrüsten und mit unterschiedlichen Munitionsarten durchschlagend verbessern. Highlight sind sicherlich die Hypnosebolzen, mit denen wir die Kontrolle eines Gegners übernehmen können. So wird dieser zur ferngesteuerten Bombe für seine Kollegen. Ein mieser Tod! Ebenfalls hervorzuheben sind die Autobombe und der Wingstick, der mit ein wenig Zielwasser Köpfe rollen lässt. Derlei tödliche Spielereien lassen sich kaufen oder aus gefundenen Komponenten selber basteln. Ärgerlich ist, dass gegnerische Waffen sich vor unseren Augen in Luft auflösen. Warum das so ist? Damit man stattdessen im örtlichen Laden Geld dafür ausgibt oder sich auf Schießprügel als Belohnung für absolvierte Missionen freut. Das ist eine etwas billige Art zum Weiterspielen zu animieren. Aber dieser Kniff überrascht nicht, denn schließlich weiß die Geschichte nichts zu erzählen.

16.10.2011 : Benjamin Doum