Für den großartigen Erfolg der ersten beiden Teile von The Witcher war maßgeblich der erwachsene Charakter des Rollenspiels verantwortlich, den nur die wenigsten Genre-Kollegen in adäquater Manier umzusetzen vermochten. The Witcher 3 macht dort weiter, wo seine Vorgänger aufgehört haben. Das neueste Abenteuer aus dem Hause CD Projekt Red ist so reif wie das Haupthaar, so kultiviert wie die Rhetorik und so scharfsinnig wie der Verstand des Helden Geralt. Keine Geschichte, die der Hexer im Spielverlauf erlebt scheint belanglos, geschweige denn überflüssig. Keinen Protagonisten dem Geralt begegnet möchte man interessehalber im Nachhinein nicht kennen gelernt haben. Kein Erlebnis des Hauptcharakters erweckt den Eindruck der Verzichtbarkeit. Diese kompromisslose Daseinsberechtigung aller storybezogenen Eigenschaften und Inhalte sorgt für die derzeit wohl intensivste Rollenspielerfahrung, die man auf Xbox One erleben kann.
Dabei verzichtet The Witcher 3 auf pompöses Dauerspektakel im Minutentakt, bei dem hinter jeder Waldlichtung die nächste feuerspuckende Bestie in Wolkenkratzergröße auf den Spieler lauern könnte. Diese Momente gibt es, sicherlich, mit ihnen geht das Spiel aber sehr behutsam um, und das ist gut so. Immer wieder sorgen ruhigere Passagen für Atempausen. Die sind bitter nötig, denn nur so lässt sich die unglaublich dichte Atmosphäre des Spiels in sich aufnehmen, ohne das Gefühl zu haben, daran zu ersticken. Hier sind es das fantastische Charakterdesign und die famose Inszenierung, die dafür sorgen, dass euch selbst der oberflächlichste Dialog mit dem nebensächlichsten Kartoffelbauern im unerheblichsten Nebenquest zu unterhalten weiß. Es sind nämlich keine farblosen Polygonwesen, die euch begegnen. Ihr trefft auf „echte“ Persönlichkeiten, Figuren mit Ecken und Kanten, individuellen Schicksalen und Lebensgeschichten, die schockieren, bedrücken und oft genug erheitern können.
CD Projekt Red ist es gelungen, neue Maßstäbe in Sachen Storytelling für ein Videospiel zu erreichen. The Witcher 3 wird nahezu perfekt erzählt. Von kurzen Wortfetzen, die ihr von umherstreifenden Passanten aufschnappt über witzige Notizen an Schwarzen Brettern, die in jedem noch so kleinen Dörfchen angebracht sind und euch meist mit kleineren Nebenquests versorgen, bis hin zu umfangreichen, jedoch nie ausufernden Zwischensequenzen und teils spielbaren Rückblenden, zieht sich die hohe Erzählqualität wie ein roter Faden durch das gesamte Spiel. Das I-Tüpfelchen setzen kurze „Comic-Strips“, die während einer Ladezeit die letzten Geschehnisse kurz zusammenfassen und den Spieler bspw. beim Spielstart daran erinnern, bei welchem Punkt in der Story er sich befindet.